Medizinisch-Soziales Dolmetschen (MSD): was ist das?

Viele aus dem Ausland stammende Patienten stehen unserem Gesundheitssystem ratlos gegenüber. Die meisten Migranten stammen aus Ländern, in denen sie nur selten eine ärztliche Versorgung wie in unserem Gesundheitssystem in Anspruch nehmen konnten. Kulturell bedingt haben sie oftmals ein ganz anderes Verständnis von ihrem Körper und von Krankheiten
als hiesiges medizinisches Personal.

In der klinischen Anamneseerhebung, Diagnostik und Therapie werden kulturspezifisch determinierte Tabubereiche berührt, die vom Patienten und behandelndem medizinischen Personal ganz unterschiedlich gewichtet werden. Ohne spezifische Kenntnisse der kulturellen Eigenarten des Patienten ist es nicht möglich eine vollständige Anamnese zu erstellen. Andererseits ist es erforderlich, dass fremdsprachige Patienten die Anweisungen des medizinischen Personals nicht nur übersetzt bekommen, sondern diese auch verstehen. Beides bedeutet, dass Personen, die die Arzt-Patient-Kommunikation dolmetschen, nicht nur Übersetzer, sondern auch Mittler zwischen zwei kulturellen Systemen sein sollten.

In der Regel werden nur muttersprachliche Dolmetscher, aufgrund ihrer genauen Kenntnisse der Vorstellungen von Körper und Krankheit sowie der Traditionen ihres Kulturkreises, in der Lage sein, den richtigen Ton zu treffen und somit auch Tabubereiche ansprechen zu können.

Laienhaftes Dolmetschen durch z.B. Verwandte des Patienten führen oftmals zu unzureichender oder falscher Information bereits bei der Anamnese. Die Folge sind häufigere Untersuchungen, oftmals auch Wiederholungen von Therapien, längere Liegezeiten, letztendlich ein unnötiger finanzieller Mehraufwand, der in keinem Verhältnis zum kurzen Hinzuziehen von medizinisch vorgebildeten Dolmetschern steht.

Der Dolmetscheeinsatz bringt für das medizinische Personal erhebliche Arbeitserleichterungen, für die Patienten das Gefühl der Sicherheit und des Verstandenwerdens und ist somit ein wesentlicher Baustein in der Qualitätssicherung ärztlichen und pflegerischen Handelns.

Abgesehen von humanitären und ethischen aber auch ökonomischen und qualitätssichernden Aspekten, die ein Hinzuziehen von geschulten Dolmetschern verlangen, spielen auch Vorgaben der Gesetzgebung eine wichtige Rolle. Sie schreiben für fremdsprachige Patienten eine detaillierte Aufklärung über Behandlung und medizinische Maßnahmen in ihrer Sprache vor.

Wenn Verwandte oder Hilfspersonal dolmetschen

Immer wieder werden Dolmetschaufgaben in der Arzt-Patient-Kommunikation oft von Angehörigen des Patienten übernommen, die hierfür nicht ausgebildet sind. Gleiches gilt für Raumpflegepersonal, das zum Dolmetschen gebeten wird. Oftmals wird auch Personal von anderen Stationen und Abteilungen eines Krankenhauses hinzugezogen und zusätzlich mit diesen Aufgaben belastet.

Die Praxis zeigt, dass es Familienaugehörigen, aufgrund der besonderen emotionalen Belastung, sehr schwer fällt, dem erkrankten Verwandten die ganze Wahrheit über seine Krankheit und/oder die bevorstehenden medizinischen Behandlungsmaßnahmen mitzuteilen. Dieses trifft bei einer unheilbaren Krankheit des Patienten besonders zu. In der Regel pflegen die Familienangehörigen, Aufklärungsgespräche des Arztes zu beschönigen, durch einige Vorschläge bzw. Kommentare zu ersetzen oder „schlimme“ Diagnosen ganz zu verschweigen.

Insbesondere sind in diesem Zusammenhang deutschsprachige Kinder ausländischer Patienten zu erwähnen, die häufig gezwungen werden, für ihre Eltern zu dolmetschen und mit dieser Aufgabe emotional überfordert sind.

Oft stellt die Anwesenheit eines Verwandten oder Bekannte für den Patienten ein Hindernis dar, mit dem Arzt offen über seine Erkrankung zu sprechen.

Zitiert nach: Albrecht, N.-J. (2002) Zur interkulturellen Kompetenz
in der Kommunikation mit Migranten: Praxis und Anspruch

In: Trojan, A., Döhner, H. (Hg.): Gesellschaft, Gesundheit, Medizin.
Erkundungen, Analysen und Ergebnisse. Mabuse-Verlag, Frankfurt/M., S. 289-302

Projekt: „Migrantenversorgung im UKE“

 

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